Kentauren sind der antiken griechischen Mythologie zufolge Mischwesen – halb Mensch, halb Pferd. „Ihr Stammvater [war] Kentauros, der Sohn des Ixion und der roßgestaltigen Nephele. Ihre Heimat [war] das griechische Festland, etwa die Bergwälder Thessaliens, insbesondere das Pholoe-Gebirge und das Kap Malea ...“ (Der neue Pauly, Enzyklopädie der Antike, Bd. 6, Spalte 413) Als Tiermenschen verbanden sie animalische Aggressivität mit menschlichem Verstand, waren wild, roh, unzivilisiert, lüstern und dem Wein sehr zugetan, weswegen sie auch in Verbindung mit Dionysos gebracht wurden. Zudem forderten sie die Heroen (wie z. B. Herakles, Peleus und Atalante) oder andere Menschengruppen immer wieder heraus. Auf Grund von Frauenraub und ihrer blinden Zerstörungswut kam es häufig zu Kämpfen zwischen ihnen und den Menschen. In diesen Kämpfen, in denen die Kentauren mit Ästen, entwurzelten Bäumen, Steinen, Felsblöcken, Keulen und allerlei anderen Dingen, die sich irgendwie zum Verletzen oder zum Totschlagen eigneten, fochten, unterlagen sie jedoch am Ende immer den Menschen und wurden vertrieben.
Die ausführlichste Schilderung eines solchen Kampfes findet sich beim antiken Autor Ovid. Bei ihm heißt es zum Kampf zwischen den Lapithen (einem mythischen thessalischen Stamm) und den Kentauren u. a.: „Die schöne Hippodame hatte der Sohn des verwegenen Ixion, Peirithoos [er war Lapithe], heimgeführt und die wilden Wolkensöhne, die Kentauren, geladen, sich an Reihen von Tischen in einer Grotte zu lagern, ... Thessaliens Fürsten kamen dazu, dazu kam ich selber [gemeint ist Nestor], und die festliche Königshalle erscholl vom Lärm und Getümmel. Siehe, man singt das Hochzeitslied, der Rauch von Fackeln zieht durch die Räume: Umringt vom Schwarm der Mütter und der Neuvermählten erscheint, herrlich durch ihre Anmut, die junge Frau! Wir alle priesen Peirithoos wegen einer solchen Braut glücklich – doch fast wären unsere guten Wünsche vergebens gewesen. Denn dir, blindwütigster der blindwütigen Kentauren, Eurytos, wird sowohl vom Wein wie vom Anblick des Mädchens die Brust heiß, dich beherrscht der Rausch, gepaart mit Gier! Im Augenblick sind die Tische umgestürzt, herrscht Verwirrung unter den Gästen, wird die Neuvermählte an ihren Haaren brutal davongeschleift. Eurytos raubt Hippodame, von den anderen jeder die, die ihm am besten gefällt oder die er gerade packen kann. Man hätte sich in eine eroberte Stadt versetzt fühlen können. Vom Geschrei der Frauen widerhallt der Palast. Geschwind springen wir alle empor ...“ (Ovid: Metamorphosen, XII, 210 ff.) Was dann folgt, ist die detaillierte Beschreibung eines äußerst blutrünstigen und von beiden Seiten brutal geführten Gemetzels, in dem die Kentauren schließlich unterliegen. Anschließend fliehen etliche von ihnen ins Pholoe-Gebirge, brandschatzen dort und töten die Bewohner.
Dass der Mythos von den Frauen raubenden Kentauren allerdings noch sehr viel älter ist als die Schilderung Ovids, beweist ein antiker griechischer Silberstater der Orreskeioi – diese lebten östlich des Strymon und nordöstlich des Pangaiongebirges (Abb. 1). Auf diesem Stater sehen wir einen Kentauren mit langen Haaren, spitzem Bart und Pferdeohren nach rechts hin, der eine langgewandete protestierende Nymphe verschleppt.
Doch die antike griechische Mythologie erwähnt auch einen Kentauren, der sich von den anderen völlig unterschied. Hilfsbereit, gut, gerecht, weise und unsterblich soll er gewesen sein. Sein Name lautete Chiron (griechisch CIRWN oder CEIRWN). Er war der Sohn des Titanen Kronos und der Nymphe Philyra, hatte also auch einen völlig anderen Ursprung als die übrigen Kentauren. Dass er Kentaur war, lag daran, dass sich Kronos in einen Hengst verwandelt hatte, bevor er der Nymphe Philyra beiwohnte, um nicht von seiner Gemahlin Rhea entdeckt zu werden.
Chiron hatte die Najade Chariklo geheiratet und mit ihr einen Sohn (Karystos) und zwei Töchter (Endeis und Okyrrhoe) gezeugt. Er lebte in einer Höhle im thessalischen Pelion „am Gipfel nach dem pagasäischen Golf hin“ (H. Roscher, Hrsg.: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Bd. I. 1, Spalte 889) und pflegte im Gegensatz zu den unzivilisierten Kentauren gute Beziehungen zu den Menschen und den Heroen. So beriet er beispielsweise seinen Enkel Peleus, den Vater des Achill, bei der „Eroberung“ von Achills Mutter Thetis und schenkte Peleus zu dessen Hochzeit eine gewaltige Eschen-Lanze, mit der später Achill vor Troia kämpfte. „Und aus der Hülle zog er [gemeint ist Achill] heraus die väterliche Lanze, die schwere, große, wuchtige: die konnte kein anderer der Achaier schwingen, sondern allein verstand sie zu schwingen Achilleus, die Esche vom Pelion, die seinem Vater geschnitten hatte Cheiron von des Pelion Gipfel, Mord zu sein den Helden.“ (Homer: Die Ilias, XIX, 387 ff.) Darüber hinaus war Chiron ein weiser und begnadeter Lehrer, erzog und unterwies zahlreiche Heroen, u. a. Achill, Iason, Asklepios und Aktaion, „in Jagd- und Kriegskunst, der Heilkunst und der Musik“ (Der neue Pauly, Enzyklopädie der Antike, Bd. 2, Spalte 1127) – siehe hierzu Abb. 2.
Das Fresko aus Herculaneum zeigt, wie Chiron den jungendlichen Helden Achill im Leierspiel unterrichtet. Für den antiken Autor Homer war Chiron, der sich so großartig auf die Kräuter- und Heilkunde verstand, „der gerechteste von den Kentauren“. (Homer: Die Ilias, XI, 832)
Aber auch die Griechen des 2. vorchristlichen Jahrhunderts schätzten Chiron und widmeten ihm Münzen (siehe Abb. 3). So prägten beispielsweise die Magnetes (Einwohner Magnesias), auf deren Territorium einst die mythischen Lapithen und Kentauren gesiedelt haben sollen (so Oliver Hoover), Bronzemünzen, die auf ihren Vorderseiten Zeus oder Poseidon und auf ihren Rückseiten den nach rechts gehenden Chiron mit geschultertem Ast, wehender Chlamys und ausgestreckter Rechten darstellen. Diese Münzen, die im 2. Jh. v. Chr. mit 19-22 mm Durchmesser zu den größten Bronzenominalen Magnesias gehörten (daneben gab es noch kleinere Nominale in Bronze mit anderen Bildmotiven), trugen die Legende MAGNHTWN ([Münze] der Magnetes). In Magnesia soll es zudem auch einen Kult des Chiron und in der Hauptstadt Demetrias „Chironiden“ (Heilkundige) gegeben haben.
Ein weiterer Ort, an dem im 2. Jh. v. Chr. bronzene Münzen mit dem weisen und gerechten Kentauren Chiron ausgebracht wurden, war Nikomedia, die Hauptstadt des Königreichs Bithynien (siehe Abb. 4). Diese Bronzestücke, die auf ihrer Vorderseite die nach rechts gewandte Büste des Dionysos mit Efeukranz und Fruchtdolden im Haar und auf ihrer Rückseite den nach rechts schreitenden Leier spielenden Kentauren Chiron zeigen, wurden während der Regierungszeit von König Prusias II. Kynegos (182-149 v. Chr.) geprägt. Sie tragen deshalb die Legende BASILEWS PROUSIOU ([Münze] des Königs Prusias). Den Beinamen „Kynegos“ – er bedeutet „der Jäger“ –, den Prusias wegen seiner großen Jagdleidenschaft führte, erwähnen die Münzen nicht. Dass der Kentaur auf den Bronzemünzen dieser Periode – in Magnesia ebenso wie in Bithynien – nur auf der Rückseite erschien, war der Tatsache geschuldet, dass die Münzvorderseite im Hellenismus den olympischen Göttern oder der Person des Königs vorbehalten war.
Doch wenngleich Chiron allen als der tugendhafteste und der gerechteste Kentaur galt, so ereilte ihn ein tragisches Schicksal. Als Herakles nämlich während eines Kampfes mit Pfeilen, die mit dem Blut der Lernäischen Hydra vergiftet worden waren, auf die wilden, unzivilisierten Kentauren schoss, traf einer seiner Pfeile aus Versehen auch Chiron am Knie und fügte diesem eine unheilbare und äußerst schmerzhafte Wunde zu. Weil Chiron hiernach ein qualvolles Leben führen musste, sehnte er den Tod herbei und tauschte schließlich seine Unsterblichkeit gegen die Sterblichkeit des Prometheus ein. Damit erfüllte sich die Prophezeiung, die ihm einst seine Tochter Okyrrhoe als ekstatische Seherin geweissagt hatte: „Auch du, teurer Vater, jetzt unsterblich und zur Dauer auf ewige Zeit geboren, wirst dereinst wünschen, sterben zu können, wenn das Blut der gefräßigen Schlange dich quält, das dir in die wunden Glieder drang. Dann werden dich die Götter aus einem Unsterblichen zu einem Untertanen des Todes machen, und die drei Schicksalsgöttinnen werden deinen Lebensfaden abschneiden.“ (Ovid: Metamorphosen, II, 649 ff.) Prometheus wiederum erhielt auf diese Weise seine Freiheit wieder, da Zeus ihn dazu verurteilt hatte, so lange unfrei zu bleiben, bis ein Unsterblicher für ihn stürbe. Den toten Chiron aber versetzte Zeus als Sternbild des Kentauren (centaurus) oder des Schützen (sagittarius) an den Nachthimmel – so die antiken Sternsagen.
Literatur
Peter Robert Franke, Max Hirmer: Die Griechische Münze. München 1964; David R. Sear: Greek Coins and their values. Volume I, Europe. London 1978, Nachdruck London 1997; Oliver D. Hoover: Handbook of Coins of Northern and Central Anatolia. Pontos, Paphlagonia, Bithynia, Phrygia, Galatia, Lykaonia, and Kappadokia (with Kolchis and the Kimmerian Bosporos). Fifth to First Centuries BC. Lancaster, London 2012; Oliver D. Hoover: Handbook of Coins of Northern and Central Greece. Achaia Phthiotis, Ainis, Magnesia, Malis, Oita, Perrhaibia, Thessaly, Akarnania, Aitolia, Lokris, Phokis, Boiotia, Euboia, Attica, Megaris, and Corinthia. Sixth to First Centuries BC. Lancaster, London 2014; Josef Mühlenbrock, Dieter Richter (Hrsg.): Verschüttet vom Vesuv. Die letzten Stunden von Herculaneum. Mainz 2005; Bernard Andreae: Antike Bildmosaiken. Mainz 2003; Hubert Cancik, Helmuth Schneider (Hrsg.): Der neue Pauly, Enzyklopädie der Antike, 16 Bde. Stuttgart, Weimar 1996-2003; Wilhelm H. Roscher (Hrsg.): Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, 10 Bde., 3. Nachdruckauflage. Hildesheim, Zürich, New York 1992/93; Homer: Die Ilias. Übersetzt von Wolfgang Schadewaldt. Düsseldorf, Zürich 2002; Ovid: Metamorphosen. Übersetzt und herausgegeben von Gerhard Fink. Düsseldorf, Zürich 2004.
Den in den Abbildungsunterschriften erwähnten Auktionshäusern und Quellen sei an dieser Stelle ausdrücklich und herzlich gedankt.
aus MünzenRevue Ausgabe 05/2016