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Helmut Caspar

Deutsche Einigung mit Eisen und Blut – Wie der Krieg von 1866 das Münzwesen veränderte und warum man


Seit dem Krieg Preußens und Österreichs sowie ihrer Verbündeten von 1864 gegen Dänemark und dem Frieden von Wien, in dem der unterlegene König Christian IX. seine Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg an Österreich und Preußen abtreten musste, nahmen die Spannungen zwischen Preußen und Österreich um die Vormachtstellung im Deutschen Bund massiv zu, dem nach den Befreiungskriegen gebildeten Zusammenschluss von souveränen deutschen Fürstentümern und den Freien Städten Bremen, Frankfurt am Main, Hamburg und Lübeck. In dem Staatenbund gaben als wichtigste Monarchien das österreichische Kaisertum und das preußische Königreich den Ton an. Er war am 10. Juni 1815 auf dem Wiener Kongress „Im Nahmen der allerheiligsten und untheilbaren Dreyeinigkeit“ gegründet worden. Vertreter von 39 souveränen Staaten setzten ihre Unterschrift unter die Gründungsurkunde, in der der Deutsche Bund als „feste und dauerhafte Verbindung für die Sicherheit und Unabhängigkeit Deutschlands“ und als Garant für Ruhe, Ordnung und Gleichgewicht in Europa definiert wurde. Die Zahl der Mitglieder des Deutschen Bundes sank im Laufe der Jahrzehnte auf 35, nachdem einige Territorien in andere übergegangen waren. Der Staatenbund mit Sitz in Frankfurt am Main war 1815 rund 630 100 Quadratkilometer groß, und die Bevölkerungszahl wuchs von 29 Millionen bis 1866 auf etwa 48 Millionen Einwohner an.

„Jedem das Seine“

Da jedes Mitglied des Deutschen Bundes eigene Münzen nach dem Motto „Jedem das Seine“ prägen ließ und oft auch eigene Münzstätten unterhielt, bietet sich zur Freude der Sammler ein buntscheckiges Bild. Die früher nach dem bekannten Katalog von Carl Schwalbach und heute besonders nach AKS (P. Arnold, H. Küthmann, D. Steinhilber: Großer deutscher Münzkatalog von 1800 bis heute. 31. Auflage, bearbeitet von D. Faßbender, Regenstauf 2015) und Kahnt/Schön (H. Kahnt, G. Schön: Weltmünzkatalog 19. Jahrhundert. 17. Auflage Regenstauf 2015) zitierten deutschen Münzen des 19. Jahrhunderts aus Gold, Silber und Kupfer zusammenzubekommen, ist schwierig und zum Teil auch recht teuer, weil es viele Seltenheiten gibt und große Mengen eingeschmolzen wurden, um Material für neues Hartgeld und für andere Zwecke zu bekommen. In dieser Zeit gab es große Anstrengungen, im Interesse von Handel und Wandel die lästige Zersplitterung bei den Münzen, Maßen und Gewichten zu überwinden. Da damit Souveränitätsrechte der Bundesfürsten und Freien Städte berührt waren, gestaltete sich dieser Prozess zwar mühsam, führte aber mit Hilfe der Konventionen von 1838 in Dresden und 1857 in Wien über die Vereinheitlichung des Münz- und Geldwesens und der Angleichung unterschiedlicher Systeme letztlich zum Erfolg.

Die territorialen Veränderungen vor 150 Jahren nach dem Deutschen Krieg von 1866 hatten erhebliche numismatische Folgen, weil traditionsreiche Territorien von der politischen Landkarte verschwanden und auch die für sie arbeitenden Münzstätten neue Aufgaben bekamen beziehungsweise ihren Betrieb einstellen mussten. Durch die Reichseinigung von 1871 wurde per Gesetz die Mark als deutsche Einheitswährung geschaffen. Mit der Einführung des Euro 2002 hat dieses nach einer uralten Silbermünze aus der Hansezeit benannte Nominal bei uns ausgedient.

Nach der Revolution von 1848/49 stand die Bildung eines einheitlichen deutschen Nationalstaats unübersehbar auf der politischen Tagesordnung. Nur war man in der Frage zerstritten, ob das neue Deutschland eine Republik ohne fürstlichen Partikularismus sein soll beziehungsweise ob und in welcher Form das Gottesgnadentum der Fürsten beibehalten wird. Wir wissen, dass Deutschland erst 1918 im Ergebnis des Ersten Weltkriegs Republik wurde, was ebenfalls bedeutende Spuren in der Münz- und Geldgeschichte hinterlassen hat.

Gestritten in Parlamenten und Parteien, Vereinen und Gazetten, aber auch auf dem Schlachtfeld wurde ab 1848 zudem um die kleindeutsche Lösung mit Preußen als dominierender Kraft beziehungsweise die großdeutsche Lösung, in der Österreich-Ungarn dann die Vormacht wäre. Diese Frage wurde 1866 auf dem Schlachtfeld entschieden.

Preußen gegen Österreich

Im Juni 1866 beantragte Preußens König Wilhelm I., der spätere deutsche Kaiser, nach längeren Streitereien (nicht zuletzt um die 1864 den Dänen entrissenen Herzogtümer Schleswig und Holstein) im Bundestag zu Frankfurt, die Habsburgermonarchie aus dem Deutschen Bund auszuschließen. Da der in Wien seit 1848 regierende Kaiser Franz Joseph und weitere ihm verbundene Monarchen dieses Ansinnen zurückwiesen und dem weiteren Ausbau der preußischen Dominanz nicht tatenlos zusehen wollten, kam es zum Bruch. Die Mehrheit des Bundestages beschloss auf österreichischen Antrag die Mobilmachung gegen Preußen. Wilhelm I. und sein Ministerpräsident Otto von Bismarck, der spätere Reichskanzler, antworteten mit dem Austritt des Hohenzollernstaates aus dem Deutschen Bund, der damit aufgehört hat zu bestehen. In einem preußischen Ultimatum wurden Sachsen, Hannover und Kurhessen aufgefordert, sich an die Seite Preußens zu stellen, was diese aber ablehnten. Die Folge war die Kriegserklärung Preußens an Österreich am 21. Juni 1866 und ein kurzer Krieg, den Wilhelm I. und seine Verbündeten vor 150 Jahren grandios für sich entschieden. Die Entscheidungsschlacht fand am 3. Juli 1877 bei Königgrätz statt.

Der Preußenkönig stiftete ein Ehrenkreuz für seine Krieger und ließ auf dem Königsplatz in Berlin, dem heutigen Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude, eine mächtige Siegessäule mit vergoldeter Victoria obenauf errichten. Das Monument wurde von den Nazis im Zuge der Umgestaltung Berlins zur „Welthauptstadt Germania“ abgebaut und, um einige Meter verlängert, zum Großen Stern verlagert, wo es bis heute steht. Eine Medaille von 1873 zeigt den Kopf des nunmehrigen Kaisers Wilhelm I. und die Ansicht dieses Denkmals, in dessen Sockel Bronzereliefs zur Verherrlichung dieses Monarchen und zur Erinnerung an die von ihm geführten sogenannten Einigungskriege von 1864, 1866 und 1870/71 eingelassen sind. In der Nähe stehen die Denkmäler von Otto von Bismarck sowie des preußischen Kriegsministers Albrecht von Roon und des Generalstabschefs Helmuth von Moltke, genannt „der große Schweiger“. Sie alle hatten ganz wesentlich zur deutschen Einigung „von oben“ beigetragen.

Landbrücke zum Rhein

Im so genannten Deutschen Krieg standen sich auf preußischer Seite 17 norddeutsche Kleinstaaten und auf österreichischer Seite die Königreiche Bayern, Hannover, Sachsen und Württemberg sowie Baden, Hessen-Kassel (Kurhessen), Hessen-Darmstadt, Nassau und vier weitere Kleinstaaten gegenüber. Wenige Tage nach der Kriegserklärung siegten am 3. Juli 1866 die preußischen Truppen unter Moltkes Befehl bei Königgrätz im damals österreichischen Böhmen. Dieser Triumph war überlegener preußischer Waffentechnik sowie der Nutzung der Eisenbahn und der Telegrafie geschuldet, während Franz Joseph und seine Verbündeten bei diesem Blitzkrieg militärisch nicht auf der Höhe der Zeit standen. Österreich schloss darauf mit Preußen am 23. August 1866 den Frieden von Prag, der mit weiteren Abkommen den Deutschen Krieg beendete. Österreich kam mit einer Zahlung von 20 Millionen Talern Kriegsentschädigung glimpflich davon, hingegen ging Preußen mit einigen Verbündeten der Habsburgermonarchie ausgesprochen ungnädig um. Von den Toten und Verwundeten, die dieser Krieg forderte, sprach man kaum, hingegen nahm die „Verpreußung“ Deutschlands mit Eisen und Blut, wie Bismarck sagte, ihren Lauf.

Die militärischen und politischen Entwicklungen vor 150 Jahren hatten auch gravierende Folgen im deutschen Münz- und Geldwesen. Preußen annektierte 1866 kurzerhand das Königreich Hannover sowie Kurhessen, das Herzogtum Nassau und die Freie Stadt Frankfurt am Main. Unter den schwarzen Adler des Hohenzollernstaates gezwungen, mussten sie ihre Münzprägung auf eigene Rechnung einstellen. Die Münzanstalten in Hannover und Frankfurt am Main konnten unter preußischer Regie noch eine Zeitlang weiter arbeiten, und auch der Münze zu Darmstadt wurde eine kleine Gnadenfrist eingeräumt. Hingegen musste die für Nassau in Wiesbaden tätige Prägefabrik ihre Arbeit einstellen.

Der Süden soll zahlen

In einem Brief an seinen Sohn Wilhelm schrieb Otto von Bismarck am 1. August 1866, der Friede mit Österreich sei so gut wie fertig. „Nachdem es uns den Platz in Deutschland geräumt, haben wir es glimpflich behandelt; Holstein und 40 Millionen Taler, wovon 20 für die Gegenforderungen abgehen. Es ist wohlfeil, aber in der Politik muss man, wenn man viele Gegner hat, zunächst den stärksten außer Spiel setzen und die schwächsten schröpfen, was im Privatleben eine sehr umstrittene Gemeinheit wäre. Was wir brauchen, ist Norddeutschland, und da wollen wir uns breitmachen. Der Süden soll zahlen.“ König Wilhelm I. stellte finanzielle Ansprüche an die unterlegenen Staaten, doch eigentlich wollte er nicht ohne Gebietsgewinne nach Berlin zurückkehren und dachte dabei vor allem an Österreich und dessen Verbündeten Sachsen. Der Hohenzollernkönig träumte sogar davon, mit klingendem Spiel in Wien einzumarschieren. Kaiser Franz Joseph und Sachsens König Johann sollten nach Auffassung von Wilhelm I. bestraft und so geschwächt werden, dass sie keine Gefahr für Preußen und seine kleindeutschen Ambitionen mehr darstellen.

Otto von Bismarck allerdings dachte weiter, er riet zur Mäßigung und warf in dramatischem Disput mit seinem König ein, Preußen werde eines Tages Österreich sowie die anderen Kriegsgegner im ehemaligen Deutschen Bund benötigen, um irgendwann einen Waffengang mit Frankreich erfolgreich führen zu können. Es kam zu einer Machtprobe zwischen Wilhelm I., der sogar an Abdankung dachte, und Bismarck. In seinem Buch „Gedanken und Erinnerungen“ urteilt dieser, es sei für Preußen nicht darum gegangen, eines Richteramtes zu walten, „sondern deutsche Politik zu treiben; Österreichs Rivalitätenkampf gegen uns sei nicht strafbarer als der unsere gegen Österreich; unsre Aufgabe sei Herstellung und Anbahnung deutsch-nationaler Einheit unter Leitung des Königs von Preußen.“ Letztlich bestand die Aufgabe für Preußen darin, „die Kluft zwischen den Ost- und Westprovinzen auszufüllen und Preußen ein haltbar abgerundetes Gebiet auch für den Fall des frühern oder spätern Misslingens der nationalen Neubildung zu schaffen“.

Recht der Sieger

Bei der Annexion von Hannover und Kurhessen ging es um die Herstellung einer festen und wirksamen Verbindung zwischen den beiden Teilen der preußischen Monarchie, zwischen dem brandenburgischen Kernland und den rheinischen Provinzen, die 1815 an den Hohenzollernstaat gefallen waren. Die Haltung Hannovers im Krieg von 1866 habe das preußische Bedürfnis für einen unbeschränkt in einer Hand befindlichen territorialen Zusammenhang von neuem anschaulich gemacht. „Wir durften der Möglichkeit, bei einem künftigen österreichischen oder anderen Kriegen ein oder zwei feindliche Korps von guten Truppen im Rücken zu haben, nicht von neuem ausgesetzt werden.“ Mit anderen Worten drängte Bismarck seinen König, statt sich an Sachsen und Österreich durch „Landnahme“ schadlos zu halten besser den unbotmäßigen König Georg V. von Hannover auszuschalten und dessen Land unter den „Schutz“ des preußischen Adlers zu stellen. Der auf der österreichischen Seite kämpfende Welfenkönig hatte in Bismarcks Augen jeden Kredit verspielt, ja er hatte sich als ausgesprochener Feind der Hohenzollernmonarchie entlarvt. Von den Siegern gedrängt, ging Georg V. grollend ins österreichische Exil und starb dort 1878. Sein Vermögen in Höhe von umgerechnet 48 Millionen Mark wurde beschlagnahmt und in den so genannten Welfenfonds umgewandelt, aus dessen Erträgen Bismarck „welfische Umtriebe“ bekämpfte.

Das seit 1815 bestehende Königreich wurde als Provinz Hannover dem preußischen Königreich einverleibt, die „Landbrücke“ zwischen Berlin, Düsseldorf und Köln war hergestellt. Kaum in Hannover eingezogen, unterbanden die preußischen Besatzer die Prägung von Münzen mit Bildnis und Wappen des vertriebenen Königs Georg V.

Nach der Kapitulation der hannöverschen Truppen in der Schlacht von Langensalza Ende Juni 1866 beschlagnahmten preußische Soldaten die auf dem Weg nach Göttingen befindlichen Silbervorräte der Münze zu Hannover. Zwar wurde der Fabrik der Wert des requirierten Metalls in Höhe von 121 278 Talern erstattet, ihr fehlte aber das Material, um weiterhin daraus Hartgeld herstellen zu können. Selbst wenn es vorhanden gewesen wäre, hätten die preußischen Besatzer die Prägung von Münzen mit Bildnis und dem Wappen des Ex-Königs nicht geduldet. Bereits am 7. September 1866 wurde der Münze die weitere Ausprägung der hannoverschen Landesmünze verboten.

Da sich Münzmeister Karl Wilhelm Theodor Brüel um den Fortbestand seiner Anstalt Sorgen machte, beantragte er bei den preußischen Stellen, Münzen mit dem Kopf König Wilhelms I. und dem preußischen Adler prägen zu dürfen, wobei er darauf hinwies, dass es für die preußische Regierung nur vorteilhaft sei, die hannoversche Münze noch einige Jahre wenigstens fortbestehen zu lassen. Bei der jetzt anstehenden Regulierung des Münzwesens im Norddeutschen Bund würden die Möglichkeiten der Berliner Münze nicht ausreichen, die erforderliche Menge neuen Geldes rasch genug herzustellen. Die preußische Regierung hatte ein Einsehen und gestattete den Weiterbetrieb der Münze zu Hannover, die bis 1878 den Buchstaben B verwendete. Da in Hannover tatsächlich weiter viel geprägt wurde, sind diese Münzen mit dem Münzstättenbuchstaben B heute noch preiswert zu haben.

Die von 1866 bis 1879 in der Mainmetropole geprägten Pfennige, Markstücke und Goldmünzen tragen den Buchstaben C als Zeichen für die dritte Münze in Preußen. Nach ein paar Jahren war sowohl in Frankfurt als auch in Hannover (B) und Darmstadt (H) die Galgenfrist beendet, denn alle weiteren Aufträge wurden von der Berliner Münze und den anderen Prägeanstalten in Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden und in Hamburg erledigt. Selbst das bevölkerungsreiche Preußen konnte sich auf Dauer drei Münzstätten nicht leisten. Die gut ausgestattete Anstalt an der Berliner Unterwasserstraße reichte vollkommen aus.

Die Hoffnung auf ein Fortbestehen der Anstalt nach der Reichsgründung von 1871 war von kurzer Dauer. 1877 hatte man damit begonnen, die in großen Beständen in der Reichsbank liegenden Taler einzuschmelzen, um das Material als Silberbarren zu verkaufen. Wegen des Rückgangs der Silberpreise verfügte Reichskanzler Otto von Bismarck über das ihm unterstehende Reichsschatzamt eine Unterbrechung der Einschmelzungen, worauf die davon noch nicht betroffenen Vereinstaler wieder dem Verkehr zugeführt wurden und sich die Münzquote pro Kopf erhöhte. Die Münzstätten in Hannover und Frankfurt wurden bald nicht mehr benötigt und 1878 und 1879 aufgelöst, wobei die dort tätigen Beamten, soweit sie nicht in der Berliner Münze oder bei einer anderen Behörde tätig werden konnten, am 1. April 1880 zur Disposition gestellt wurden. Ein ähnliches Verfahren hat es schon früher bei der Einstellung der preußischen Münzstätten in Breslau und Düsseldorf gegeben.

Glück im Unglück

Glück im Unglück hatte 1866 Großherzog Ludwig III. von Hessen-Darmstadt. Er stand im Deutschen Krieg von 1866 auf österreichischer Seite und erregte damit den Zorn der Preußen. Allerdings konnte er seinen Thron behalten, musste aber die ihm nach dem Aussterben der Linie Hessen-Homburg zugefallenen Landsteile an den Hohenzollernstaat abtreten. Deren letzte Vereinstaler mit dem Kopf und Wappen des Landgrafen Ferdinand wurden 1863 in Darmstadt geprägt. Hessen-Darmstadt, das 1866 mit Preußen einen Friedensvertrag abschloss und ihm drei Millionen Gulden Kriegsentschädigung zahlen musste, schloss sich dem Norddeutschen Bund an und ging, wie andere deutsche Staaten auch, ein Schutz- und Trutzbündnis mit Preußen ein. Aufgrund dieser Vereinbarung nahmen hessische Truppen am Deutsch-französischen Krieg 1870/71 teil. Hessen-Darmstadt wurde 1871 wie die anderen Bundesstaaten Teil des neu gegründeten Deutschen Reiches und erhielt Sitz und Stimme im Bundesrat.

Die am Mathildenplatz in Darmstadt gelegene hessische Münzanstalt war nur zehn Jahre, von 1872 bis 1882, für das Deutsche Reich tätig. Die letzten Darmstädter Münzen sind Ein-Mark-Stücke von 1882, erkennbar am Buchstaben H. Zuvor wurden 1875 und 1876 Fünf-Mark-Stücke sowie 1876 und 1877 Zwei-Mark-Stücke mit dem Kopf von Großherzog Ludwig III. geprägt. Außerdem entstanden zwischen 1872 und 1880 in der Darmstädter Münze Goldmünzen zu 5, 10 und 20 Mark. Da die Anstalt nicht rentabel war und wohl auch nicht genug zu tun hatte, wurde ihr Betrieb 1882 eingestellt. In das klassizistische Gebäude zog das Steueramt ein, das 1903 abgerissen wurde, um dem Neubau des Amtsgerichts Platz zu machen.

Interesse verdienen die Umstände der Schließung der Prägeanstalt, die man mit einem langen Sterben vergleichen kann. Wie Recherchen des darmstädtischen Stadtarchivars Friedrich Wilhelm Knieß ergaben, wurde die Anstalt nicht Knall und Fall geschlossen, sondern existierte noch ein paar Jahre weiter. Nach einer Meldung an die Großherzogliche Zentralstelle für Statistik vom 3. Januar 1882 wurden von 1872 bis 1881 52,3 Millionen Münzen von 20 Mark bis 1 Pfennig geprägt. Dabei fällt auf, dass bis 1881 alle Sorten, 1882 nur noch Ein-Mark-Stücke hergestellt wurden. In der Aufstellung dominieren Groschen mit 10,8 Millionen, während es halbe Kronen, also goldene Fünf-Mark-Stücke, nur auf 181 458 brachten, eine Zahl, die sich auch in den Reichsmünzen-Katalogen wieder findet.

Dass alles reibungslos verlief, ist der guten maschinellen Ausstattung, aber auch dem Einsatz der Münzarbeiter und des Münzmechanikers Ludwig Haas zu verdanken. Nach der Schließung der Münzstätte wurde er in Pension mit einer deutlichen Einkommenskürzung geschickt, war aber weiterhin mit der Wartung der Maschinen betraut. Archivar Knieß folgert, dass die Schließung der Darmstädter Münze zu diesem Zeitpunkt möglicherweise nicht endgültig war. In der zeitgenössischen Presse und den Akten fänden sich keine diesbezüglichen Informationen, lediglich der Hinweis in der regierungsamtlichen „Darmstädter Zeitung“ über die Pensionierung beziehungsweise Versetzung der Münzbeamten am Ende des ersten Quartals 1882. „Zieht man die lange Instandhaltungszeit der Münze nach dem Auslaufen der regulären Arbeiten in Betracht, so liegt die Vermutung nahe, dass das hessische Finanzministerium nach der Verlagerung der Reichsprägung nach Berlin zunächst nur unklare Vorstellungen über die weitere Verwendung der Darmstädter Münze hegte. Möglicherweise wurde sogar eine Wiederinbetriebnahme unter anderen Geschäftsbedingungen erwogen. Dies könnte auch begründen, warum nirgends offizielle Veröffentlichungen über die Veränderungen im Betrieb der Münze zu finden sind. In den späteren Zeitungsberichten über die Darmstädter Münze und ihre Münzmeister werden immer Rentabilitätsgründe für die Einstellung der Arbeiten im Jahr 1882 angeführt.“

Blick nach Hamburg

Das nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 vom neuen Deutschen Reich annektierte und dem Königreich Preußen als „Reichsland“ unterstellte Elsass-Lothringen sollte eigentlich eine in Straßburg ansässige Münzstätte bekommen. Für Kaiser Napoleon III. arbeitend, war sie personell und maschinell gut ausgestattet und hätte, wenn der Plan aufgegangen wäre, den Buchstaben K erhalten sollen. Doch wurde aus dem Projekt nichts, die Maschinen wurden auf andere deutsche Prägeanstalten verteilt, das Personal entlassen, pensioniert oder anderswo eingesetzt. Was aber wurde mit den zwischen H und K befindlichen Buchstaben I und J? Blicken wir nach Hamburg. Als dort 1875 die für das Kaiserreich tätige Münze eröffnet wurde, waren bereits acht deutsche Geldfabriken in Betrieb, nämlich Berlin, das mit A zeichnete, sowie Hannover (B), Frankfurt am Main (C), München (D), Dresden (E, ab 1887 Muldenhütten), Stuttgart (F), Karlsruhe (G) und Darmstadt (H). Die Reihenfolge der Münzbuchstaben ergab sich aus der Nennung der Bundesstaaten entsprechend ihrer Größe in der Reichsverfassung von 1871. Die hamburgische Münze hätte, wenn man im Alphabet weitergegangen wäre, den neunten Buchstaben, das I, bekommen müssen. Doch entschied man sich anders und legte das J fest, um Verwechselungen mit der römischen 1 zu vermeiden. Seither sind alle in Hamburg geprägten Münzen am J zu erkennen. Dass die Einführung der neuen Reichswährung „Mark“ nicht ohne Probleme verlief und manchen Hohn und Spott mit sich brachte, sei der Vollständigkeit halber erwähnt, ist aber eine andere Geschichte.

aus MünzenRevue Ausgabe 07+08/2016

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