Eigentlich wollte er weder Kaiser von Deutschland noch Deutscher Kaiser sein, ihm reichte der Titel eines Königs von Preußen, denn dieser war für Wilhelm I., den standesbewussten Hohenzoller, Ehre genug. Der schon recht betagte Monarch wurde am 18. Januar 1871, vor 150 Jahren, im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles weder zum einen noch zum anderen ausgerufen. Sein Schwiegersohn, Großherzog Friedrich I. von Baden, brachte nach heftigen Debatten hinter den Kulissen lediglich ein „Hoch auf Kaiser Wilhelm“ aus. Nach Beseitigung von Irritationen zwischen Wilhelm I. und seinem engsten Vertrauten, Reichskanzler Otto von Bismarck, der die „Kaisersache“ eingefädelt hatte, lautete bis zum Ende der Monarchie der offizielle Titel des deutschen Reichsoberhaupts „Deutscher Kaiser und König von Preußen“. Zu finden ist er auf vielen Reichsmünzen aus Silber und Gold, aber auch auf unzähligen Medaillen mit den Bildnissen Wilhelm I. sowie seiner Nachfolger Friedrich III. und Wilhelm II., die im Dreikaiserjahr 1888 nacheinander den Thron bestiegen.
Die überall an Hausfassaden sowie auf Gemälden und Grafiken, aber auch auf geprägtem Metall prangende deutsche Kaiserkrone war, wie wir heute sagen würden, ein Fake. Die von den Habsburgern bis zum Ende des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation im Jahr 1806 getragene römisch-deutsche Kaiserkrone, eine kostbare Goldschmiedearbeit aus der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts, konnten Wilhelm I. und seine Nachfolger nicht tragen. Es musste etwas Neues her, doch hat es all die ganze Zeit nie dazu gereicht, das Diadem aus Gold und Edelsteinen zu fertigen.
Es gab durchaus Pläne, eine neue deutsche Kaiserkrone zu schaffen, die sich in der Form an die alte Reichskrone anlehnt. Sie sollte neogotisch anmutende Hochbügel besitzen, die in der Mitte zusammenlaufen und ganz oben den Reichsapfel trugen. Die Bildplatten wollte man mit einem Kreuz aus Diamanten sowie Adlern besetzen. Von diesem Kronentyp abgeleitet wurden auch Formen für die Kaiserin und den Kronprinzen. Das aber waren schöne Projekte, und so waren sie bis zu ihrem Verschwinden im Zweiten Weltkrieg im Berliner Hohenzollernmuseum Schloss Monbijou nur vorläufige Holzmodelle ausgestellt.
Für die Krönung König Wilhelms I., des späteren Kaiser Wilhelm I., am 18. Oktober 1861 in der Königsberger Schlosskirche waren die goldenen Kronkarkassen (Gestell, Gerüst) von 1701 für den König und seine Gemahlin durch zwei neue Kronen aus vergoldetem Silberblech ersetzt worden. Das aber genügte Wilhelm II. nicht. Um bei Staatsakten wie Thronreden und der Eröffnung des Reichstags nicht ganz ohne Kronjuwelen auskommen zu müssen, ließ er eine neue Königskrone nach einem Entwurf des am Hof angesehenen Heraldikers Emil Doepler junior von den Hofjuwelieren Humbert und Sohn herstellen.
In seinem Buch „Gedanken und Erinnerungen“ beschrieb Otto von Bismarck recht drastisch die gereizte Stimmung bei der Debatte um die Titelfrage zwischen Wilhelm I. und den Herren seiner engsten Umgebung. „Die Kaiserkrone erschien ihm (Wilhelm I., H. C.) im Lichte eines übertragenen modernen Amts, dessen Autorität von Friedrich dem Großen bekämpft war, den Großen Kurfürsten bedrückt hatte. Bei den ersten Erörterungen sagte er: ,Was soll mir der Charakter-Major?’ worauf ich u. a. erwiderte: ,Ew. Majestät wollen doch nicht ewig ein Neutrum bleiben, ,das Präsidium’? In dem Ausdrucke ,Präsidium’ liegt eine Abstraktion, in dem Worte ,Kaiser’ eine große Schwungkraft’“.
Bismarck mußte alle seine Überzeugungskraft aufwenden, um seinen aufgebrachten König dazu zu bewegen, sich künftig Kaiser nennen zu lassen. Zudem hatte sich Kronprinz Friedrich Wilhelm, der 99-Tage-Kaiser von 1888, von „politischen Phantasten“, wie Bismarck schrieb, die Wiedererweckung des „römischen Kaisertums“ einreden lassen, doch fand er auch am Titel „König der Deutschen“ Gefallen. Dessen Annahme hätte allerdings zur Konsequenz gehabt, dass die vier königlichen Dynastien im neuen Reich auf diesen ihren Königstitel verzichten und einen Herzogstitel hätten annehmen müssen. „Ich sprach die Überzeugung aus, dass sie (die jetzigen Könige von Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg, H. C.) sich dazu gutwillig nicht verstehen würden“, schrieb Bismarck und fügte hinzu, würde man dagegen Gewalt anwenden, so würde dergleichen Jahrhunderte hindurch nicht vergessen und eine Saat von Misstrauen und Hass ausstreuen.“
Diesen Argumenten konnten sich Wilhelm I., Kronprinz Friedrich Wilhelm und weitere Herrschaften nicht verschließen, doch der Groll saß tief. Der König von Preußen erklärte, wenn er schon einen Titel annehmen würde, dann nur den eines Kaisers von Deutschland, etwas anderes käme für ihn nicht infrage. Bismarck entgegnete, die römischen Kaiser hätten sich nicht Kaiser von Rom genannt und auch der Zar heiße nicht Kaiser von Rußland sondern russischer Kaiser. Außerdem stehe auf Talern Friedrich des Großen und Friedrich Wilhelms II. nicht „Borussiae Rex“, sondern „Borussorum Rex“.
Nachdem Wilhelm I. ziemlich erbost die Debatte abgebrochen hatte, versuchte Bismarck, die verfahrene Situation durch Geheimdiplomatie zu retten. Hinter dem Rücken seines Herrn vereinbarte er mit dem Großherzog von Baden, dem Schwiegersohn von Wilhelm I., unter Hinweis auf die bereits genehmigte Reichsverfassung mit der Formulierung „Deutscher Kaiser“ darin, bei der Proklamation die Bezeichnung „Kaiser von Deutschland“ zu vermeiden und stattdessen ein Hoch auf Kaiser Wilhelm auszubringen.
So geschah es denn auch, und alle Anwesenden stimmten begeistert ein, wie man auf zeitgenössischen Gemälden und Holzstichen gut erkennen kann, in deren Mittelpunkt der neue Kaiser und Bismarck gut zu erkennen sind. „Sr. Majestät hat mir diesen Verlauf so übelgenommen, dass er beim Herabtreten von dem erhöhten Stande der Fürsten mich, der ich allein auf dem freien Platze vor ihm stand, ignorierte, um den hinter mir stehenden Generalen die Hand zu bieten“, schrieb Bismarck und fügte hinzu, in dieser Haltung sei Wilhelm I. mehrere Tage verharrt, bis allmählich die gegenseitigen Beziehungen wieder in das alte Geleise kamen. Die später zwischen dem Kaiser und König und dem Reichskanzler ausgetauschten Briefe sind von herzlicher Freundschaft geprägt, und außerdem wurde Bismarck von seinem Herrn mit Titeln, Orden und auch mit Rittergütern überhäuft. „Otto der Beharrliche“, wie man Bismarck nannte, war am Ziel seiner Wünsche.
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